“Einfach grandios”
Kritik von Martin Hagen (SWR2)
Manche CDs sind ein Glücksfall: weil sie mit althergebrachten Meinungen aufräumen und einem Musik, die man gut zu kennen glaubt, ganz neu erleben lassen. Beides ist bei „New Colours Of The Past“ vom Duo Aliada der Fall. Sei es orchestrale Musik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, von Händel, Vivaldi und Bach, oder Werke des 20. Jahrhunderts, von Alban Berg, Krzysztof Penderecki oder Béla Bartók – was Michał Knot am Saxofon und sein Partner Bogdan Laketic am Akkordeon daraus machen, ist einfach grandios! Die große Wandelbarkeit ihrer Instrumente kommt den beiden da sicher zu Hilfe. Das Saxofon schlüpft mühelos in die Rollen von Flöte, Klarinette, Geige oder Fagott und kann zuweilen sogar wie eine menschliche Stimme klingen (eine „Vox humana“ im besten Sinne also, von der die Orgelbauer früherer Jahrhunderte immer geträumt haben). Und das Akkordeon ersetzt, je nach Register, ein volles Orchester, ein kleiner besetztes Continuo, eine Orgel oder ein Clavichord, und das mit fließenden Übergängen. Das garantiert eine große klangliche Vielfalt!
Natürlich nützten die klanglichen Möglichkeiten der Instrumente alleine nichts, man muss sie auch umsetzen können. Im Duo Aliada sind zwei Meister ihres Fachs am Werk. Der Saxofonist Michał Knot ist gebürtiger Pole, Jahrgang 1987, lebt jetzt in Wien und ist, neben dem Duo Aliada, Mitglied bei einigen weiteren Saxofon-Ensembles. Der Akkordeonist Bogdan Laketic stammt aus Serbien, ist ebenfalls ‚Wahl-Wiener‘ und gehört trotz seines zarten Alters von nur 21 Jahren schon zu den ganz Großen auf seinem Instrument. Beide beschäftigen sich auch intensiv mit zeitgenössischer Musik und haben schon einigen Stücken zur Uraufführung verholfen. Außerdem gewannen die beiden 2013 den Grand Prix des 12. Fidelio Wettbewerbs Wien. Zwei vielversprechende junge Künstler also, die sich in ihrem Duo Aliada so richtig austoben dürfen.
Ein Anliegen von Michał Knot und Bogdan Laketic ist die ‚Rehabilitierung‘ ihrer Instrumente. Beide, Saxofon und Akkordeon, sind Erfindungen des frühen 19. Jahrhunderts, brauchten ca. 100 Jahre bis das Design perfektioniert war und noch einmal 50 Jahre bis Musiker begannen, sich intensiv mit ihnen auseinander zu setzen. Zwei Instrumenten-Spätentwickler könnte man sagen, die das Pech haben, dass viele große Komponisten sie nicht mehr erleben und deshalb auch nicht für sie schreiben konnten. An dieser Stelle kommt der Bearbeiter ins Spiel, in diesem Fall das Duo Aliada selbst. Auch hier geben sich die Musiker keine Blöße: Die Bearbeitungen sind allesamt mehr als gelungen, überaus kreativ und wandelbar, aber immer mit Respekt vor dem Original. Manche Umsetzung erscheint zwar zunächst organischer, z. B. bei Manuel de Falla und Astor Piazzolla, aber das mag daran liegen, dass man hier die Instrumenten-Kombination als weniger ungewöhnlich empfindet, weil man sie von der Folklore her schon kennt. Die wahren Ohrenöffner sind aber die Barock-Bearbeitungen: Hier erscheint das Vergangene wirklich in völlig neuen Farben, und das ist absolut hörenswert!